Vor 101 Jahren, am 29. Oktober 1923 wurde die Republik Türkei ausgerufen. Dieses Jubiläum bedeutet gleichzeitig auch 101 Jahre diplomatische Beziehungen zu Österreich.
Die Republik Türkei ist nun schon über 100 Jahre alt. Am 29.Oktober 1923 hatte Mustafa Kemal Attatürk die Vision eines modernen, laizistischen Vielvölkerstaates Realität werden lassen, noch am selben Tag wurde er zum ersten Präsidenten der jungen Republik gewählt. Die neue Hauptstadt des Landes wird von Istanbul nach Ankara verlegt. Damit ist ein Grundsteinzur modernen demokratischen türkischen Republik gelegt.
Als einer der Hauptakteure war er selbst zwischen 1919 und 1923 im Befreiungskrieg an der türkischen Nationalbewegung beteiligt. Das, was letztlich vom ehemaligen osmanischen Weltreich nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg übrigblieb, wurde von alliierten Streitkräften besetzt. Die Grenzen der heutigen Türkei wurden in den Verhandlungen zum Vertrag von Lausanne am 24.Juli 1923 definiert.
Im Jänner 2024, also aus Anlass des Bestehens „100 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei“ wurde dieses historische Datum groß auf beiden Seiten gefeiert. Denn am 28.Jänner 1924 wurde ein Freundschaftsvertrag zwischen der Republik Türkiye und der Republik Österreich in Istanbul geschlossen. Allerdings reichen die geschichtlichen Beziehungen bis zum Jahr 1528 zurück; Ferdinand I. entsandte damals zum ersten Mal einen Gesandten an den Osmanischen Sultanshof. Die Vertretung des Osmanischen Reiches am Kaiserlichen Hof in Wienbeschränkte sich allerdings bis Ende des 17. Jahrhunderts auf Ad-hoc-Botschafter.
Die Diplomatische Akademie in Wien wurde schon 1754 von Kaiserin Maria Theresia als „Orientalische Akademie“, also als staatliche Ausbildungsstätte für Diplomaten gegründet, die insbesondere dazu beitragen sollte, die Beziehungen zum osmanischen Reich zu vertiefen; an ihr war Türkisch/Osmanisch als erste Fremdsprache ein Pflichtfach. Die Akademie ist damit weltweit die älteste noch bestehende Institution ihrer Art.
Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern begannen allerdings rund 160 Jahre nach der Gründung des Osmanischen Reiches, also 1299. Es entsprach lediglich den Gepflogenheiten, dass bis zum Ende des Mittelalters Gesandte nur aus Gründen wie Kriegserklärungen, Friedensverträgen, zivilen Streitigkeiten, Bündnissen, Thronbesteigungen, Hochzeiten und Begräbnissen zueinander geschickt wurden. Neue Herausforderungen, wie die Herausbildung des europäischen Staatensystems brachte ab Ende des 15. Jahrhunderts, in Anbetracht der Erfordernis einer genauen Kenntnis über andere Staaten und der Wichtigkeit, Maßnahmen gegen Bedrohungen zu ergreifen, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen die Notwendigkeit einer ständigen Vertretung mit sich.
Mit dem 1791 unterzeichneten Vertrag von Zishtovi, der den Osmanisch-Österreichischen Krieg von 1787-1791 beendete, endete auch diehistorische Rivalität zwischen dem Osmanischen Reich und Österreich.
Das osmanische Reich und das Habsburgerreich verbindet eine Jahrhunderte lange wechselhafte Geschichte, einerseits geprägt von Auseinandersetzungen, aber auch von gegenseitiger Faszination, einem wahren „Orientboom“, der im 19. Jahrhundert in Europa Einzug hielt.
Die Beziehungen waren lange von gegenseitigem Kampf und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt, verwandelten sich aber während des Ersten Weltkriegs in ein Bündnis. Im Ersten Weltkrieg kämpften osmanische und österreichische Soldaten gemeinsam an der galizischen Front. Die aus der Kaiserzeit stammenden Bündnisbeziehungen wurden mit dem 1924 zwischen Türkiye und Österreich unterzeichneten „Freundschaftsvertrag“ neu definiert.
Zentralfriedhof
Relikte als „steinerne historische Zeugen“ aus dieser Zeit gibt es noch auf dem Wiener Zentralfriedhof.
In der Gruppe 7 liegt die türkische Abteilung. Die aus Spanien vertriebenen Juden kamen in die Türkei, wo sie unter dem Schutz des Sultans standen. Durch die Kontakte während der Monarchie kamen sie auch nach Österreich.
Etliche Grabsteine erinnern an die Architektur der Alhambra, besonders hervorzuheben ist jenes in der Zeremonienallee von Jacques Menachem Elias, welches er sich schon zu Lebzeiten anfertigen ließ.
Der renommierte österreichische Militärhistoriker, Bgdr. Prof. Rolf Urrisk nennt auch Gräber türkischer Soldaten, darunter Kriegsgefangene, sie befinden sich in der Gruppe 91 (Kriegerfriedhof Erster Weltkrieg). Einige türkische Offiziere wurden ebenfalls hier beerdigt.
Es gibt auch einen türkischen Oberleutnant außerhalb dieses Kriegerfriedhofes in einem Einzelgrab: AchmedBejFesy (1889-1918), Gruppe 25.
Ephesos
Seit 1893 werden, unter der Leitung des österreichischen Archäologischen Instituts, Grabungen und Forschungen in Ephesos durchgeführt. Deren kunsthistorische Bedeutung ist angesichts der etwa zwei Millionen Besucher pro Jahr auch ein Wirtschaftsfaktor – dementsprechend wird die archäologische Forschung in Ephesos finanziell von Wirtschaftsunternehmen unterstützt.
Unter österreichischen Archäologieprojekten ist noch der Heroon von Trysa zu erwähnenswert, eine einzigartige Grabanlage in Lykien, die 1841 vom Gymnasiallehrer Julius August Schönborn entdeckt wurde. Erst 40 Jahre später veranlasste Otto Bendorf mit der Genehmigung der türkischen Behörden, den Transport der ca. 152, ursprünglich bemalten Reliefplatten, nach Wien. Seit 2007 finanziert das Kunsthistorische Museum in Wien ein Projekt zur Untersuchung des Heroons von Trysa.
St. Georgs-Kolleg in Istanbul
Zu den ältesten Einrichtungen Österreichs in der Türkei gehört das St. Georgs-Kolleg: erstmals 1303 urkundlich erwähnt, wurde die Kirche 1882 als Mittelpunkt eines deutschsprachigen Werkes erworben. Es entstand eine Schule für katholische, deutschsprachige Kinder, in die auch Kinder ärmerer Familien aufgenommen hat und in welche auch ein Waisenhaus integriert wurde. Ein deutscher Lazarist, Conrad Stroever, unterzeichnete im November 1882 den Kaufvertrag für St. Georg. Im Jahre 1889 wurde dann St. Georg von den österreichischen Lazaristen und Barmherzigen Schwestern übernommen, welche es bis heute weiterführen. Die St. Georgs-Schule versteht sich als Schule der Begegnung auf dem Gebiet des Bildungswesens, der Kultur und Religion, der Sprachen und des sozialen Bereiches.
Bilaterale Beziehungen und politische Besuche
Die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren in den letzten 100 Jahren friedvoll und sehr freundschaftlich. Diese spiegeln sich in der Intensität politischer Besuche, ausgezeichneten Wirtschaftsbeziehungen und massiven wirtschaftlichen Investitionen, sowie in vielfältigen kulturellen Verbindungen und Kooperationen wider.
Auf hoher politischer Ebene erfolgten regelmäßige gegenseitige Besuche wie etwa auf Außenministerebene 2018, zur weiteren positiven Entwicklung der bilateralen Beziehungen trug der Besuch von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei. Er traf am 26. September 2018 den österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu traf am 23. September 2019 am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit seinem österreichischen Amtskollegen Alexander Schallenberg zusammen.
Bei seinem Besuch in Türkiye im Mai 2024 traf der österreichischeAußenminister Alexander Schallenberg mit dem türkischen AußenministerHakan Fidan sowie Innenminister Ali Yerlikaya zusammen, im selben Monat besuchte die türkische Ministerin für Familie und Soziales, FrauMahinur Özdemir Göktaş Wien.
Anwerbeabkommen von 1964
Vor 60 Jahren, am 15. Mai 1964, wurde das „Anwerbeabkommen“ zwischen Österreich und der Türkei unterzeichnet. Es ist die Grundlage dafür, dass es heute starke soziale und geschäftliche Verbindungen zwischen den beiden Ländern gibt.
Das in Österreich allgemein als „Anwerbeabkommen“ bekannt, war ein bilaterales Abkommen, das die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte erleichterte, um den Arbeitskräftemangel in Österreich in einer Zeit des Wirtschaftswachstums und der Vollbeschäftigung zu beheben. Es ermöglichte die organisierte und geregelte Migration türkischer Arbeitskräfte nach Österreich und markierte einen bedeutenden Meilenstein in der Geschichte der Arbeitsmigration zwischen Österreich und der Türkei.
Das Abkommen hatte nachhaltige Auswirkungen auf die demografische Zusammensetzung und kulturelle Vielfalt Österreichs. In der ersten Runde 1965 starteten rund 3.100 türkische Staatsbürger ihr Vorhaben in Österreich. 1969 lebten und arbeiteten bereits rund 11.000 türkische Staatsangehörige in Österreich. Zu diesem Zeitpunkt kam fast jeder zehnte ausländische Arbeitnehmer aus der Türkei. Anfang der 1970er Jahre wurde der höchste jährliche Zuwachs mit über 5.000 Personen verzeichnet.
Im Laufe der Jahre ist die türkische Gemeinschaft gewachsen und hat sich in allen Bereichen der österreichischen Gesellschaft etabliert, einschließlich Wirtschaft, Bildung, Kultur und Politik. Heute sind viele der ehemaligen Arbeitsmigranten zu Österreicherinnen und Österreichern geworden, tragen mit ihren Familienangehörigen und Nachkommen zur kulturellen Vielfalt und zum sozioökonomischen Gefüge Österreichs bei und bereichern die multikulturelle Landschaft des Landes.
Mittlerweile besteht die in Österreich lebende türkische Gemeinschaft etwa aus 300.000 Personen, von denen etwa 180.000 die österreichische Staatsbürgerschaft haben.
Rückblick von Botschafter Ceyhun
Im Rahmen eines Empfanges anlässlich des türkischen Nationalfeiertages am 29.Oktober 2024 erinnerte Botschafter Ozan Ceyhun an die historische Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen und die positiven Errungenschaften, aber auch an die Herausforderungen, die noch vor uns liegen.
Botschafter Ceyhun, der nach fast fünf Jahren seine Amtszeit in Wien demnächst beenden wird, zog eine positive Bilanz seiner Tätigkeit. Ein zentrales Anliegen war ihm die Förderung der Bedingungen für die österreichisch-türkische Gemeinschaft und die weitere Intensivierung der bilateralen Beziehungenzwischen beiden Ländern.
Er dankte allen, den österreichischen und türkischen Institutionen, Unternehmen und Personen, die sich zur Intensivierung und Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen eingesetzt und beigetragen haben,eine neue und positive Dynamik in den bilateralenBeziehungen zwischen Türkiye und Österreich in Gang zu setzen.