Brasilien 200 Jahre Unabhängigkeit
Brasilien, das größte Land Südamerikas feiert seine 200jährige Unabhängigkeit vom ehemaligen Vereinigtes Königreich von Portugal, Brasilien und den Algarven. Dieses Jubiläum ist auch der Anlaß für eine Sonderausstellung „BRASILIEN. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“ von 8. Juni 2022 bis 23. April 2023 in den vier Kabinetten und zwei Sonderausstellungssälen im Naturhistorischen Museum Wien.
Am 7.September 2022, also auf den Tag genau an dem vor 200 Jahren die Unabhängigkeitserklärung erfolgte, gab es im Naturhistorischen Museum in Wien eine Festveranstaltung mit Vorträgen, Führungen und Konzerten. Generaldirektorin Dr.Katrin Vohland konnte ein großes Publikum von Interessenten begrüßen, Botschaftsrätin Anna Leitao von der Portugiesischen Botschaft überbrachte eine Grußbotschaft und der Kulturattaché der Brasilianischen Botschaft, Tomás Seferin verwies in seiner Rede auf die positive Entwicklung, die Brasilien in allen Bereichen im Verlaufe der Zeit genommen hatte. Brasilien ist heute ein Vielvölkerstaat mit einer reichhaltigen und mannigfaltigen Kultur und weltweit einer der bedeutendsten Wirtschaftspartner.
Prof.Gloria Kaiser, Autorin und Organisatorin von Kulturprojekten wie Iniciativa Cultural Austro-Brasileira referierte zu Themen wie „Leopoldinas Kindheit in Wien und Überfahrt nach Brasilien“ und „Die letzten vier Jahre bis zum Tod“.
Ein geschichtlicher Rückblick: Brasilien stand nach diesem historischen Ereignis im Focus der Kolonialmächte, der Forschungsreisenden und Entdecker. Mit der Hochzeit im Jahr 1817 mit dem portugiesischen Kronprinzen Dom Pedro wird die vierte Tochter von Kaiser Franz I., Erzherzogin Leopoldine von Habsburg, Kaiserin von Brasilien und Königin von Portugal. Dieser historische Zusammenschluss bildet den Ausgangspunkt für eine Ausstellung im Naturhistorischen Museum.
In Wien stattete Kaiser Franz I. (II.) aus Anlaß der Verehelichung seiner Tochter Leopoldine eine Expedition unter der obersten Leitung des österreichischen Staatskanzlers Metternich aus, der kein zeitliches Limit gesetzt war. Die letzten der 14 Gelehrten und Maler kehrten erst 18 Jahre später nach Österreich zurück. „Die Naturwunder jenes Feenlandes, worin ein ewiger Frühling herrscht,“ (Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater 1817). Die Naturalienkabinette der Hofburg waren bald überfüllt und so wurde 1821 sogar ein eigenes Museum in Wien – das sogenannte Brasilianum – eröffnet und regten zahlreiche weitere Forschungsreisen nach Brasilien an.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die faszinierende Vielfalt Brasiliens aus der Perspektive der jahrhundertelangen gemeinsamen Geschichte von Brasilien und Österreich mit ihren globalen Wechselwirkungen. Sie läßt sich in vielen Bereichen verfolgen, auf der politischen Ebene der großen Handelsabkommen genauso wie bei wissenschaftlichen und kulturellen Kooperationen.
Die Schau bietet aber auch Raum für eine Auseinandersetzung mit den problematischen Aspekten der Brasilien-Beziehungen: Sklavenhandel und Kolonialismus haben bis heute Auswirkungen und unser aller Konsumverhalten trägt zudem maßgeblich zur radikalen Ausbeutung der Natur-und Bodenschätze bei.
Die zahlreichen Mineralien, Tiere und Pflanzen erlauben aber nicht nur einen Blick auf die wunderbare Flora und Fauna Brasiliens, sondern auch in die Vergangenheit, sie geben Hinweise auf
Arbeitsweisen der Forscher, sind Ausdruck der Verflechtungen Österreichs und Brasiliens und natürlich unersetzbares Material für Forschung.
Brasilien kann in vielerlei Hinsicht auf eine ungewöhnliche Geschichte zurückblicken, die nach wie vor stark die Gegenwart des Landes prägt. Mit einem großen Unterschied: Einst war es Portugal, das einen großen Einfluß auf die Geschicke des Landes ausübte, heute sind es die weltweiten global player.
Das Land hat mehrmals in seiner Geschichte seine Hauptstadt verlegt und weist aufgrund vieler verschiedener Einwanderungswellen eine der diversesten Bevölkerungen der Welt auf. In dessen Nationalflagge findet sich bis heute das habsburgische Goldgelb.
Der Weg der Loslösung Brasiliens von der portugiesischen Kolonialmacht war allerdings ungewöhnlich: 1807, genau einen Tag vor dem Einmarsch von Napoleons Truppen, verlegte die portugiesische Königsfamilie ihre Residenz von Lissabon nach Rio de Janeiro, um von nun an von der „Neuen Welt“ aus zu regieren. Von da an hätten sich die Machtverhältnisse zwischen Portugal und Brasilien schon etwas umkehrt. Durchgesetzt habe die Unabhängigkeit dann letztendlich der Königssohn, „Dom Pedro“, gemeinsam mit seiner Ehefrau, Leopoldine von Habsburg.
Der komplexe Unabhängigkeitsprozess sei daher nicht zuletzt auch eine Familienangelegenheit zwischen dem Sohn in Brasilien und seinem nach Portugal zurückgekehrten Vater gewesen, denn schließlich habe es sich um einen „Kampf gegen den eigenen Vater, den König, gegen das Parlament in Portugal und Widerstände in Brasilien selbst“ gehandelt. Im Vergleich zu vielen anderen lateinamerikanischen Unabhängigkeitskämpfen sei dieser jedoch um einiges unblutiger verlaufen.
In Brasilien kam es in der Folge zu einem Wirtschaftsboom und das Land kam mit Exportfrüchten zu großem Wohlstand, wobei allerdings nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung vom Reichtum profitierte. Paradoxerweise habe aber dieser Reichtum dazu geführt, daß Brasilien der ehemaligen Kolonialmacht Portugal vor allem in den 1930er bis 70er Jahren immer wieder finanziell unter die Arme greifen mußte.
Die USA waren das erste Land, das die Unabhängigkeit Brasiliens anerkannte und die Brasilianer waren sich ihrer Bedeutung als schnell wachsender Wirtschaftspartner sehr wohl bewußt. Als die USA später als imperialistische Macht im frühen 20. Jahrhundert zentralamerikanische Staaten ökonomisch unter Druck gesetzt haben, hat sich Brasilien meist auf die Seite der USA geschlagen, sagt dazu die Lateinamerikaprofessorin und Brasilien-Expertin Ursula Prutsch. Das zeige sich etwa auch darin, daß Brasilien als einziges Land Lateinamerikas aktiv mit Truppen am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hat – an der Seite der Alliierten.
Mittlerweile hat sich das Spiel der Kräfte verschoben, an die Stelle der USA ist nun China getreten, die Asianten haben die USA auch als führenden Wirtschaftspartner Brasiliens abgelöst.
Eines ist aber klar: Das portugiesische „ordem e progresso“ also „Ordnung und Fortschritt“, das die Gründerväter der Republik als Motto auserkoren hatten, gelte auch noch 200 Jahre nach Erreichung der Unabhängigkeit.
Text: Hermann Kroiher